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Interview mit Gerd Nettekoven von der Deutschen Krebshilfe

Nach Anfragen von Lesern der „Aktuellen Gesundheitsnachrichten“ und der NEWS zu dieser Studie haben wir mit Herrn Gerd Nettekoven, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Deutsche Krebshilfe gesprochen. Hier die Fragen und Antworten aus unserem Gespräch.

Herr Nettekoven, das Ziel der Studie, in einer frühen Phase der Erkrankung die richtige Therapieentscheidung zu treffen, soll durch klinische Forschung erreicht werden. Weshalb stehen die Urologen nicht geschlossen hinter diesem Ziel?

Herr Nettekoven: Die PREFERE-Studie ist notwendig, da wir zum einen von der Biologie und vom Langzeitverlauf des Niedrig-Risiko-Prostatakarzinoms noch viel zu wenig verstehen und zum anderen die Frage nach der besten Therapie in dieser Situation offen ist. Vor diesem Hintergrund ist klinische Forschung notwendig. Nur über die Forschung kommen wir in der Medizin weiter und können die Patientenversorgung verbessern. Nun muss man leider sagen, dass wir in Deutschland bisher eine nur wenig ausgeprägte Studienkultur haben. Es fehlt sowohl in der Bevölkerung wie auch bei einem Teil der Ärzteschaft das profunde Wissen um die Notwendigkeit und die Grundprinzipien von prospektiv randomisierten Studien, wenngleich man die medizinischen Fachbereiche hier unterschiedlich betrachten muss. Ein gutes Beispiel ist die Kinderonkologie. Hier haben ausschliesslich klinische Studien zu den heutigen hohen Heilungsraten in der Kinderkrebsmedizin beigetragen.

Jede klinische Studie ist zunächst einmal eine Herausforderung. Hinzu kommt, dass bei der PREFERE-Studie vier Behandlungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen und unterschiedliche Fachbereiche und mehrere -akteure involviert sind - die Urologie und die Strahlentherapie. Auch wenn die Fragestellung der Studie wissenschaftlich nicht geklärt ist, gibt es in der Ärzteschaft durchaus Präferenzen für die eine oder andere Behandlungsmethode, die dann an die Patienten herangetragen wird - aus welchen Gründen und Motiven auch immer. Darüber hinaus kommt bei dieser Studie auch dem niedergelassenen urologischen Facharzt eine Schlüsselrolle zu, insbesondere bei der Patientenaufklärung. Hier haben wir von Patienten eindeutige Signale erhalten, dass auf die PREFERE-Studie nicht hingewiesen wird. Letztlich muss immer der Patient entscheiden, ob er sich im Rahmen einer Studie behandeln lassen möchte. Wir erwarten aber von der Ärzteschaft, dass dem Patienten in der Situation des Niedrig-Risiko-Prostatakarzinoms objektiv und unvoreingenommen vermittelt wird, dass die Frage nach der besten Therapie derzeit nicht beantwortet werden kann und diese Frage im Rahmen der PREFERE-Studie geklärt werden soll.

An einem besseren Verständnis für die Notwendigkeit dieser Studie und an einer wesentlich verbesserten Arzt-Patienten-Kommunikation im Sinne von adäquater Information und Aufklärung muss daher im Sinne der Betroffenen gearbeitet werden. Daher haben wir es sehr begrüßt, dass sich sowohl die Deutsche Gesellschaft für Urologie als auch der Berufsverband der Urologen eindeutig für die PREFERE-Studie ausgesprochen haben. Mit beiden Organisationen werden wir in einen intensiven Dialog eintreten, um die Akzeptanz der Studie unter allen Beteiligten zu verbessern.

Eine weitere Frage möchten wir gern im Interesse unserer Leser anschließen. Interessierte Betroffene akzeptieren die Zufälligkeit der Einteilung in die vier gängigen Therapiemethoden schwer. Wie individuell wird hier entschieden?

Herr Nettekoven: Ich hatte ja schon angedeutet, dass in der Allgemeinbevölkerung die Grundprinzipien der evidenzbasierten Medizin sowie die Notwendigkeit randomisierter Studien wenig bekannt sind. Betroffene werden von ihrem behandelnden Arzt gegebenenfalls in der Regel erst bei Besprechung der Behandlung mit Begriffen wie 'Studie' und 'Randomisierung' konfrontiert, was die Akzeptanz für klinische Studien natürlich erschwert. In klinischen Studien werden Therapien an einer größeren Anzahl von Patienten statistisch geplant, systematisch überprüft und sorgfältig ausgewertet. Nur so kann zuverlässig festgestellt werden, wie wirksam Behandlungsmethoden wirklich sind. Fortschritte in der Krebsmedizin sind meistens durch klinische Studien erreicht worden. Als Beispiel hatte ich die Kinderonkologie bereits angesprochen. Aber auch die heutigen Erfolge in der Brustkrebsbehandlung basieren auf der Durchführung von randomisierten Studien in der Gynäkologie. Es gibt somit gute Beispiele aus anderen medizinischen Fachgebieten, in denen die Hürde der Randomisierung, d.h. die Zufälligkeit der Einteilung in Studien, genommen wurde. Es ist zudem wichtig für die Patienten zu wissen, dass sie im Rahmen einer Studie immer die beste Behandlungsmöglichkeit erhalten, die zum Zeitpunkt der Studiendurchführung bekannt ist. Auch dies sollte ihnen im Rahmen der Arzt-Patienten-Kommunikation vermittelt werden. Im Rahmen der PREFERE-Studie hat man sich im Übrigen für eine Präferenzbasierung entschieden, um den Betroffenen die Einwilligung so leicht wie möglich zu machen: Präferenzbasierung bedeutet, dass der Betroffene es sich zwar nicht aussuchen kann, welche Behandlung er bekommt, dass er aber Alternativen, die für ihn inakzeptabel erscheinen, abwählen kann, solange er bereit bleibt, für die verbleibenden Alternativen den Randomisierungsentscheid zu akzeptieren.

Herr Nettekoven, können Sie bitte unseren Leserinnen und Lesern noch etwas zur Finanzierung dieser großen Studie sagen?

Herr Nettekoven: Ja, gestatten Sie mir bitte noch einige Erläuterungen zur Finanzierung der Studie: PREFERE wird gemeinsam von der Deutschen Krebshilfe und den gesetzlichen Krankenkassen sowie privaten Krankenversicherungen mit erheblichen Mitteln finanziert. Dieses Finanzierungsmodell erlaubt es uns, die Studie unabhängig von industriellen und kommerziellen Interessen durchzuführen – ganz im Sinne der Patienten. Die Studie wurde – bevor sie im Jahr 2013 gestartet ist – fast drei Jahre lang gewissenhaft von zahlreichen Institutionen und Organisationen des Gesundheitswesens vorbereitet – neben der Deutschen Krebshilfe und den Krankenversicherungen von der Deutschen Gesellschaft für Urologie, der Deutschen Gesellschaft für Radioonkologie, dem Berufsverband Deutscher Urologen, der Deutschen Krebsgesellschaft und der Patientenorganisation Bundesverband Prostatakrebs Selbsthilfe.

Die Studie und ihr Design fanden zudem die uneingeschränkte Unterstützung durch das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWIG). Mit PREFERE wird erstmals eine Therapiestudie gemeinsam von den Krankenversicherungen und einer gemeinnützigen Organisation finanziert. Auch diese Chance für ähnliche Modelle in Zukunft sollte nicht vertan werden.

Herr Nettekoven, herzlichen Dank für das Gespräch und Ihre Informationen für unsere Leser.

Das Gespräch führte Dagmar Moldenhauer, Redaktionsleiterin der Aktuellen Gesundheitsnachrichten und der NEWS.