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Patienten als Partner des Arztes

Was der Arzt objektiv anrät, macht manchem Kranken das Leben schwer. Um Kosten zu sparen, sollen Behandlungen möglichst effektiv sein. Das lässt sich dann am besten schaffen, wenn der Arzt Verfahren wählt, die statistisch abgesichert die besten Heilerfolge haben. Die Daten dafür liefert die evidenzbasierte Medizin (EbM). Aus zahllosen Studien mit Tausenden von Patienten steht die EbM auf einem empirisch abgesicherten Fundament. Eine Richtschnur, nach der sich auch die Gesundheitspolitik hinsichtlich der Finanzierung richtet; die objektiv vorgibt, was bezahlt wird und was nicht.

Aber wie geht es den Patienten mit der evidenzbasierten Medizin? Bilden die Leitlinien die Wünsche und Vorstellungen des einzelnen Patienten ab? Ist evidenzbasierte Medizin aus Patientensicht nicht autoritär und passt sie zum Bild des mündigen Patienten? Was wollen, was erwarten wir von unserem Gesundheitssystem?

Hoffnung auf einen Anstoß und Wertewandel bot der Kongress der Ärztekammer Berlin im Mai. Wir veröffentlichen hier die offizielle Presseinformation.

Der 1. Deutscher Kongress Value Based Healthcare der Ärztekammer Berlin stößt Diskussion um Werteorientierung an

Ärztekammerpräsident Dr. med. Günther Jonitz: "Der Nutzen für den individuellen Patienten muss zum wesentlichen Maßstab einer medizinischen Behandlung werden."

Die Ärztekammer Berlin hat mit dem 1. Deutschen Kongress Value Based Healthcare die Diskussion um eine stärkere Werteorientierung im Gesundheitswesen angestoßen. Hochrangige Experten setzten sich auf dem ausgebuchten Kongress, der auf Initiative der Ärztekammer Berlin in Kooperation mit dem Value Based Healthcare Programme, Nuffield Department of Primary Care, University of Oxford, UK und dem British Medical Journal (BMJ) in Berlin stattfand, mit der Frage auseinander, wie das Gesundheitssystem durch eine am Patientenwohl orientierte Medizin und Gesundheitspolitik verbessert werden könnte.

Dr. med. Günther Jonitz, Präsident der Ärztekammer Berlin, erklärte, dass die Krise unseres Gesundheitssystems – ebenso wie in anderen Gesundheitssystemen weltweit – eine Krise des Organisationsprinzips sei. Immer noch werde das Gesundheitswesen durch ein „Fließbandprinzip“ mit fehlender Kommunikation unter den Akteuren bestimmt. Durch falsch gesetzte ökonomische Anreize stünde zudem häufig nicht eine hochwertige und humane Behandlung des Patienten im Vordergrund. Der Nutzen für den individuellen Patienten müsse zum wesentlichen Maßstab einer medizinischen Behandlung werden. „Optimierung der Versorgung“ statt „Dezimierung der Strukturen“ sei der Schlüssel zu einer besseren Behandlung. „Wer auf die Kosten schaut, senkt die Qualität, wer auf die Qualität achtet, spart auch bei den Kosten“, betonte Jonitz.

Professor Josef Hecken, der unparteiische Vorsitzende des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), stellte den Faktor Lebensqualität für die Gesamtbewertung einer ärztlichen Behandlung heraus. An einem Beispiel machte er deutlich, dass eine leitliniengerechte Behandlung im Ergebnis für den einzelnen Patienten durchaus sehr negative Folgen haben kann. Statt der Ergebnisqualität müssen die Indikationsqualität und auch die Lebensqualität stärker in den Blick genommen werden. Hecken kündigte an, dass beim G-BA der Faktor Lebensqualität bei der Bewertung von Leistungen künftig eine wesentlich größere Rolle spielen werde.

Sir John Muir Gray, langjähriger Chief Knowledge Officer des britischen National Health Service (NHS) und heute internationaler Vorreiter beim Thema Werteorientierung in der Medizin, stellte anschaulich den Schaden durch Über- und Untertherapie dar und machte die Notwendigkeit und den Nutzen einer Wertediskussion für eine Gesellschaft und für den Einzelnen deutlich.

Dr. med. Wolfgang Blank, niedergelassener Hausarzt aus Niederbayern und Träger des Berliner Gesundheitspreises 2004, stellte anhand praktischer Beispiele vor, wie sich eine werteorientierte Medizin in der hausärztlichen Praxis umsetzen lässt. Als Grundlage diene ihm dafür zunächst immer eine evidenz- und leitlinienbasierte Medizin. Doch dies alleine greife zu kurz, da sich die persönlichen Bedürfnisse und Wünsche der Patienten stark unterschieden und bei der Behandlung berücksichtigt werden müssten. Diese „Rundumversorgung“ gelinge ihm durch ein eingespieltes Team aus spezialisierten Medizinischen Fachangestellten, Physiotherapeuten, Ergotherapeuten, Pflegedienste und Ärzten. Das Eingehen auf individuelle Bedürfnisse des Patienten sei durch den Einsatz innovativer Ansätze auch in den bestehenden engen ökonomischen Grenzen möglich, unterstrich Blank.

Prof. Dr. med. Gerd Hasenfuß, 1. Stellvertretender Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM), berichtete von der Initiative „Klug entscheiden“ seiner Fachgesellschaft. Diese Initiative ist Teil der so genannten „Choosing wisely“-Bewegung. Ein Behandlungsergebnis sei nur dann wirklich gut, wenn die Indikation gestimmt habe. Er machte deutlich, warum eine „Klug Entscheiden-Empfehlung – KEE“ eine Negativ-Empfehlung oder eine Positiv-Empfehlung sein kann. Ziel der DGIM sei es, die Zahl von derzeit 120 KEE kontinuierlich zu erhöhen. Außerdem sollen die KEE künftig in die Lehre implementiert werden. „Klug entscheiden klug umgesetzt kann die Qualität der medizinischen Versorgung signifikant verbessern“, zeigte sich Hasenfuß überzeugt.

(Quelle: Ärztekammer Berlin, Presse)